Wieder einmal Lindbergh Baby aufgetaucht
Der Anruf einer Kusine versetzte einen Rentner aus Florida auf einen sonderbaren Trip.
Orlando, Florida. Früchtebrot. Nussschachtel. Verrückter geht's nimmer.
Robert Aldinger konnte verstehen, wie die Leute reagieren würden, wenn er enthüllt,
dass er glaubt, er sei Charles Augustus Lindbergh jr.- das blauäugige, goldblonde
Baby, das in einem der sensationellsten Kriminalfälle dieses Jahrhunderts entführt
und ermordet wurde.
Aldinger hat diese schockierende Entdeckung weitestgehend für sich behalten. Seine
Kinder wussten es nicht, genauso wenig Freunde und Nachbarn in Orlando.
Sein Rechtsanwalt jedoch wusste es und zwar deshalb, weil er Aldinger half,
seinen DNS-Gentest zu sichern. "Ich hinterlasse eine Spur", sagte Aldinger, 70.
Und seine Frau wusste es. Wie könnte sie auch nicht? Sie hat stundenlangen
Gesprächen über den mysteriösen Mordfall von 1932 zugehört. Seit sich dieser
Glaube in Aldingers Kopf letztes Jahr festgesetzt hatte, wuchs dieser vom
Verdacht bis zur vollständigen Besessenheit praktisch über Nacht.
Barbara Aldinger ist nicht 100%ig überzeugt, dass Bob das Lindbergh-Baby
ist, aber sie unterstützt ihn.
"Das wäre ja so eine Geschichte, wenn das wahr wäre," sagte sie.
Dutzende haben für sich beansprucht, der Sohn des bekannten Flugpioniers
zu sein, der vor 67 Jahren aus dem Kinderzimmer des 2. Stocks mitten in
New Jersey entführt und ermordet worden ist.
Sie begannen in den 50er Jahren aufzutauchen und es hielt bis heute an,
obwohl Charles Lindbergh sen. den Leichnam identifiziert und der Staat
einen deutschen Einwanderer, Bruno Richard Hauptmann, für den Mord
verurteilt und hingerichtet hat.
Aldinger, der leutselige Rentner, ist nur der jüngste einer langen Serie.
Unter anderem: ein Westernsänger, ein Fabrikarbeiter, einige Geschäftsleute,
eine schwarze Frau und ein Mann, der seinen Anspruch über drei verschmierten
Fingerabdrücken und einer gestempelten Unterschrift auf eine Postkarte
geschrieben hat. Der Stempelaufdruck war: "The Purple Planet Owner, Lt.
Col. Frank C. Eyrwa, Tampa Fla." (Der Purpurne Planeten Besitzer, Lt. Col. .....).
Die Vortäuscher
Die Lindbergh-Familie nennt sie "die Vortäuscher" - irregeführte und
vielleicht eifersüchtige Leute, die danach gieren, als der Sohn des
renommierten Lindbergh anerkannt zu werden.
Und sie hat Bob Aldinger ignoriert, so wie auch all die anderen.
Im Gegensatz zu einigen der anderen Vortäuscher ist Aldinger nicht auf
Geld aus. Was er will, sagt er, ist eine Mutter.
"Das erste was ich will ist, dass du die Wahrheit weißt, als nächstes
möchte ich in der Gegenwart meiner Mutter sein und ihre Hand halten",
schrieb er kürzlich an Reeve Lindbergh, dem jüngsten der Anne Morrow
Lindbergh und Charles Lindberghs fünf überlebenden Kindern, alle nach
der Entführung geboren. "Danach würde ich gerne dich und meine Brüder
treffen."
Schwer zu verstehen, warum ein solcher Kerl in seinem 70. Lebensjahr auf
die Idee kommt, jemand anderer zu sein.
Schwer, außer für diejenigen, die mit der Entführung und den sich
überhäufenden Verschwörungstheorien vertraut sind. Faszination mit dem
Fall hat einen wahre Flut von Dokumentarfilmen, Artikel und Bücher
verursacht. Mit solch einem Buch begann Aldingers sonderbarer Weg von
dem, der er war, zu dem, der er nun zu sein denkt. Es war keine
angenehme Reise. "Es hat mich fast umgebracht", sagte er.
Letztes Jahr hat eine Kusine aus West Virginia, die die Familiengeschichte
erforscht, wegen einer seltsamen Frage angerufen: Hatte er jemals gehört,
dass es seine Grußmutter Lena Aldinger war, die Bruno Hauptmann, den
Lindbergh-Entführer, Hauptmanns Frau Anna vorgestellt hat? Sie hatte es
in einem Buch gelesen.
Aldinger, ein Autodidakt und leidenschaftlicher Leser, dessen Hobby
Kunstgeschichte war, schlug vor, dass sie Gerichtsdokumente einsehen
sollte. Sie tat dies und hat bestätigt bekommen, dass Bobs Großmutter
tatsächlich das Paar miteinander bekannt gemacht hat. Sie hat auch
erfahren, dass Bobs Vater, Fred Aldinger, Hauptmanns Kumpel gewesen ist.
Davon fasziniert begann Aldinger den Fall zu untersuchen, eine Fleißaufgabe,
weil eine sich verschlechternde Augenkrankheit ihn fast blind gemacht hat.
Er ist auch fast taub.
Er schaute sich die Fakten an und dachte über sein eigenes Leben nach,
vor allem über die Jahre, die er als kleiner Junge im Heim für
Verlassene Kinder in der Bronx in New York verbracht hat. Sein Vater,
der ihm gesagt hatte, seine Mutter sei tot, hat ihn selten besucht.
Mit zehn hat ihn sein Vater aus dem Heim herausgenommen, aber sein
Leben verbesserte sich nicht wesentlich. Der Junge, der kurzsichtig war
und schlecht hörte, wurde geschlagen und unterdrückt. Einige Jahre
später riss er aus.
Von einem Brief vom New Jersey Lindbergh Kidnapping Archive hat Aldinger
erfahren, dass seine Mutter sogar noch während dieser Jahren gelebt hat.
Er hat sich diese Information und seines Vaters Verbindung zu Hauptmann
durch den Kopf gehen lassen.
Die Wahrheit hat sich herauskristallisiert
Eines Tages, ganz plötzlich, ging er vom Lesen der Geschichte dazu über,
sich diese zu verinnerlichen.
Er war das Kind, das aus seiner rechtsmäßigen Familie von Charles Lindbergh
ausgestoßen wurde, weil er schwerhörig war, und dann wurde er gegen Geld
bei jemand anderem untergebracht. Schließlich wusste Aldinger, dass es
damals, 1932, Gerüchte gab, die niemals festgehalten wurden, nach denen
aber das Lindbergh Baby in seiner Entwicklung etwas zurück geblieben war.
"Lindbergh wollte das Kind loswerden, da es behindert war," sagte Aldinger.
Er hatte Verbindungen zu Fred Aldinger, dessen eigener Sohn Robert gestorben war.
"Das Lindbergh Baby wurde in die Hände Fred Aldingers gegeben und das Baby,
das im Wald gefunden wurde, war Robert Aldinger."
Aldinger telefonierte mit Mark Falzint, einem Archivar im Kidnapping Archive
in West Trenton, NJ, der schon 14 "Lindbergh Babys" seit 1961 verzeichnet hat.
Falzint hat Aldingers Nachricht ohne großes Aufheben festgehalten. Er hatte ja
immerhin schon ähnliche Fälle zuvor gehört.
Über einen längeren Zeitraum haben die zwei stundenlang miteinander telefoniert.
Aldinger rief an und Falzint hat höflich die Fragen, die ihm gestellt wurden,
bestätigt oder widersprochen.
Falzint sagt, die Vortäuscher, die er bis jetzt getroffen hatte, waren "alles
nette und freundliche Leute". Die meisten von ihnen waren Waisen oder Pflegekinder
mit furchtbarer Kindheit.
Einer, Kenneth Kerwin, aus Maine erzählte seine Geschichte: Ein Mann, dessen
Kind gestorben ist, arrangierte die Lindbergh-Entführung, um wieder einen Sohn
zu bekommen. Der Mann mochte den Jungen nicht und hat ihn dann zur Adoption frei gegeben.
Eine der wilderen Stories kam von Geneva Cato Fields aus Trenton, NJ, einer
pensionierten Küchenhelferin. Fields sagte, dass sie das erste mal von ihrem
ehemaligen Freund aus dem CIA ihre Identität erfahren hat. Sie hat die Lücke
mit Nachforschungen aus Büchereien gefüllt, dann ihre Geschichte selbst
veröffentlicht und aus dem Kofferraum des Autos ihrer Tochter heraus verkauft.
Das Lindbergh Baby wurde behindert geboren, "mit voll ausgebildeten männlichen
und weiblichen Geschlechtsmerkmalen," sagte Fields in einem Interview. "Sie
entfernten die männlichen Geschlechtsmerkmale und hinterließen mich als eine
vollkommene Frau. Sie machten mich auch schwarz und überließen mich meinem
Schicksal."
Verärgert aber berührt
In ihrer Familienerinnerung "Unter einem Flügel" hat Reeve Lindbergh Verwirrung
zum Ausdruck gebracht, über so viele Leute, die glaubten, dass sie das erste
Kind ihrer Eltern sind.
"Ich bin manchmal verärgert - Warum hört diese Verrücktheit nicht einmal auf?
- aber meistens bin ich berührt", schrieb sie. "Was könnte mit diesen Leuten
passiert sein? Wo sind ihre wirklichen Familien?"
In einem Interview nannte sie sie "arme Kreaturen". Lindbergh sagte, sie hätte
nie irgendwelche Briefe der Vortäuscher beantwortet, denn täte sie es, würde
dies "deren Leiden vergrößern, das Leiden des gestorbenen Kindes und das
Leiden von meiner Mutter."
Anne Morrow Lindbergh ist 83 und in einem zunehmend schlechten Gesundheitszustand.
Charles Lindbergh sen. verstarb 1974.
"In früheren Jahren gab es nie eine Frage über den Leichnam," sagte Reeve
Lindbergh, "bis Leute vor der Tür standen und sagten: Wir sind das Baby."
Quelle: San Francisco Examiner vom 11.07.1999, Seite 6 und folgende, von Mary Jo Patterson, Newhouse News Service
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